Cyrill und Method - unbekannte Patrone Europas
Vor über 20 Jahren, zum Jahresende 1980, hat Papst Johannes Paul II. die beiden Slawenapostel Cyrill und Method, zwei Griechen aus Saloniki, zu Konpatronen Europas erklärt. Mittel‑ und Westeuropa haben dies kaum zur Kenntnis genommen, weil ihnen die Geistigkeit des Ostens immer noch fremd ist.
„Slavica non leguntur."
Während nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums der Westen diese Heiligen am 14. Februar feiert, der im allgemeinen Bewußtsein mit dem Valentinstag in Verbindung gebracht wird, blieb bei Tschechen, Polen und anderen katholischen Slawen als Feiertag der 5. Juli. Ist die Tradition des Valentinstages schuld, daß wir das Fest von Cyrill und Method nicht begehen?
Im Oktober 1999 hat die Europäische Bischofssynode in Rom zum zweiten Male getagt. Eine erste Europasynode der Bischöfe hatte der Papst 1990 angekündigt, als er in Velehrad den Bischofssitz des hl. Methodius besuchte, ein Jahrzehnt nach der Proklamation der beiden Slawenapostel zu Europapatronen.
Wenn schon 1980 die Tragweite des Beschlusses von Johannes Paul II. nicht erkannt wurde, so hätte dies doch ein Jahrzehnt später geschehen müssen, vor allen durch die Folgen der politischen Wende des Jahres 1989, als die unnatürliche Teilung Deutschlands und Europas unerwartetbeendet wurde.
Die bedeutende Rolle, die dabei der polnische Papst für diese entscheidende Wende spielte, kann nicht hoch genug angesetzt werden. Der Pole Johannes Paul II. hatte sich im Gegensatz zu den Politikern nie mit der Teilung Europas als Folge der Absprachen während der Konferenz von Jalta abgefunden. Er war stets ein echter Pan‑Europäer und hatte schon 1979 bei seiner ersten Reise als Papst nach Polen in Gnesen am Grab des hl. Adalbert die Einheit des Kontinents betont.
1985 erinnerte dann Johannes Paul II. in seinem Rundschreiben „Slavorum Apostoli" zum 1100.Todestag des hl. Method an das Werk der Evangelisierung der beiden Brüder aus Saloniki, von deren Charisma er hoffte, es werde „sich in unserer Epoche in neuer Fülle zeigen und neue Früchte tragen". Der Papst würdigte dabei Cyrill und Method wegen ihrer klaren Stellung in all jenen Konflikten, „die damals die slawischen Gemeinschaften auf ihrem Weg zu staatlicher Ordnung erschütterten; sie machten sich dabei die Schwierigkeiten und Probleme zu eigen, die nicht zu vermeiden waren für Völker, die ihre eigene Identität unter dem militärischen und kulturellen Druck des neuen römisch‑germanischen Reiches verteidigten und versuchten, jene Lebensformen zurückzuweisen, die ihnen fremd erschienen".
Cyrill und Method waren und sind für den Papst zwei Verbindungsringe, eine geistige Brücke zwischen Ost und West, die einen entscheidenden Beitrag zur Bildung Europas leisteten, „und zwar nicht nur in der religiösen, christlichen Gemeinschaft, sondern auch für seine gesellschaftliche und kulturelle Einheit".
An anderer Stelle spricht Johannes Paul II. von den beiden christlichen Grundhaltungen in Ost und West als von den zwei Flügeln einer Lunge, durch die Europa atmet. Bei seinem ersten Besuch in einem ehemals kommunistischen Land nach der Wende hat er in der damaligen Tschechoslowakei im April 1990 in Velehrad in Mähren, das der Tradition nach der Bischofssitz des hl. Method gewesen sein soll, die ganze Bedeutung dieser Heiligen aufgezeigt. Als seine Antwort auf den Umbruch in Osteuropa hat der slawische Papst damals in Velehrad eine Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa angekündigt, die ab 28. November bis zum 13. Dezember 1991 nach Wegen der Neuevangelisierung Europas fragte, das sich nun den Bischöfen vom Atlantik bis zum Ural als neues Missionsland darstellte. Die Grundlagen einer Neuevangelisierung hat der Heilige Vater in seiner Enzyklika „Redemptoris Missio" über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages vom 7. Dezember 1990 deutlich aufgezeigt. Die Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog und die Kongregation für die Evangelisierung der Völker haben am 19. Mai 1991 unter dem Titel „Dialog und Verkündigung" Überlegungen und Orientierungen zum Interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi geboten. Wie sich 1979 die 3. Vollversammlung des lateinamerikanischen Episkopates mit der Evangelisierung ihres auf dem Papier katholischen Kontinentes in Gegenwart und Zukunft beschäftigte, so haben Ende 1991 die europäischen Bischöfe ihre Konzeptionen vorgelegt. Die Tatsache, daß unter ihnen Männer waren, die in Gefängnis und Arbeitslager litten und als Geheimbischöfe wirkten, ist dabei ebenso von Bedeutung wie das Faktum, daß es 1991 in Teilen Europas wieder auch vom Staat anerkannte Bischöfe gab, wo seit den Zwanziger und Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts keinerlei kirchliche Struktur mehr außer einzelnen Gemeinden mehr vorhanden war. Unter dem Titel „Damit wir Zeugen Christi sind, der uns befreit hat" betonte die Sonderversammlung im Schlußdokument die gegenwärtige historische Stunde für den christlichen Glauben Europas und wies auf Wege der Neuevangelisierung hin.
Fast im Schatten der Bischofssynode hatte vom 12. bis 18. November 1991 in Santiago de Compostella (Spanien) die fünfte Europäische ökumenische Begegnung zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) stattgefunden. Im Bericht der Präsidenten dieser Versammlung, Dean John Arnold und Carlo Maria Kardinal Martini, wird das Ausmaß der christlichen Verantwortung angesichts des Evangeliums hervorgehoben und die Überzeugung ausgesprochen, daß das Evangelium in Europa Zukunft habe.
Und dennoch: Cyrill und Method, die Konpatrone Europas, die uns vom Papst stets vor Augen gestellten Väter eines christlichen Pan‑Europa sind weiterhin unbekannte Heilige geblieben.
Das ist bedauerlich, gerade in Deutschland, wohin nach dem 2. Weltkrieg durch die Vertreibung aus dem Osten Millionen von Menschen kamen, denen Cyrill und Method keine unbekannten oder vergessenen Heiligen waren. Sudetendeutsche aus Mähren kennen aus dem deutschen Gebetbuch ihrer Eltern und Großeltern aus der Erzdiözese Olmütz das „Meßlied zu Ehren der Landespatrone Cyrill und Methode. Sie pilgerten mit Tschechen und Polen nach Velehrad und auf den Berg Hostein. In Deutschland verehren die sorbischen Katholiken der Diözese Dresden‑Meißen diese Heiligen. In der Dorfkirche von Storcha bei Bautzen steht sogar ein Altar zu ihren Ehren, seit dem Millenniumsjahr 2000 auch ein Denkmal bei Schmochtitz.
Wer sind diese Heiligen?
Cyrill, genannt der Philosoph, hieß ursprünglich Konstantin. Er ist um das Jahr 826 geboren und war Priester. Sein 10 Jahre älterer Bruder Method war zunächst kaiserlicher Beamter und wurde dann Mönch. Nachdem sie bereits im Auftrag des Kaisers bei den Chazaren wirkten, entsandte sie Kaiser Michael im Jahre 863 auf Bitten des mährischen Fürsten ins Großmährische Reich, wo sie ein slawisches Alphabet schufen und erfolgreich missionierten. Da es wegen der slawischen Sprache im Gottesdienst zu Konflikten mit fränkischen und bairischen Bischöfen und Priestern kam, begaben sich die beiden nach Rom, um sich ihre Missionsmethode in der Volkssprache vom Papst bestätigen zu lassen. In Rom wurde Konstantin Mönch und erhielt den Namen Cyrill. Hier starb er im Jahre 869. Method wurde zum Bischof geweiht und kehrte nach Mähren zurück. Er wurde von den bairischen Bischöfen verfolgt und sogar eingekerkert. Durch Intervention des Papstes befreit wirkte er bis zu seinem Tode 885 in Mähren. Danach wurden seine Schüler vertrieben und gingen zu den Südslawen, um das Werk Methods weiterzuführen.
Trotz der Vertreibung ihrer Schüler lebte das Werk der Slawenapostel in Mähren, aber auch in Böhmen weiter. Das Kloster Sazava des böhmischen Benediktiners Prokop feierte die römische Liturgie im 11.Jahrhundert noch in altslawischer Sprache. Kaiser Karl IV. gründete in Prag das Slawenkloster Emmaus in dieser Tradition. Vor allem in Mähren blieb die Erinnerung an das Werk von Cyrill und Method lebendig. Auf dem 12. deutschen Katholikentag 1860 in Prag konnte der Tscheche Vaclav Stule die Gründung der St.Cyrill und Method‑Liga zur Förderung der Einheit der Christen bekanntgeben. Die Unionskongresse in Velehrad wurden Marksteine in der ökumenischen Bewegung.
Also hochgeehrt und unvergessen im Osten! Aber auch 20 Jahre nach ihrer Proklamierung zu Konpatronen Europas bleiben sie bei uns unbekannt. Ein Grund dafür ist, daß wir uns im Rahmen der europäischen Einigung zu wenig Gedanken über die wahren geistigen Grundlagen Europas machen. Viele unserer Politiker sehen nur den Euro, die einheitliche Euro‑Flasche, die europäischen Milchquoten, aber nicht das, was Europas wirklich zu Europa machte.
Ohne jeden Zweifel ist das Christentum die wesentlichste Kraft, die Europa und seine Kultur entscheidend mitgestaltet, ja nach einem Wort von Papst Pius XII. „die Seele seiner Völker am tiefsten geformt hat. Zur Geschichte dieses Kontinentes und seiner Entfaltung gehört das missionarische Wirken großer Heiliger wie Benedikt, Kolumban, Bonifatius, Ansgar, Adalbert und Gunther. Diese Missionare haben auf Dauer das Antlitz Europas entscheidender geprägt als dies große Herrscher, Eroberer oder Heerführer taten.
Meist werden dabei Cyrill und Method vergessen.
Der erste Bundespräsident des jungen Nachkriegsdeutschland, Theodor Heuss, sagte über Europa, es stehe gleich Säulen auf drei Hügeln: auf der Akropolis, dem Kapitol und Golgotha. Es habe also eine hellenistische, eine römische und eine auf Jesus Christus zurückzuführende christliche Grundlage, wobei letztere die beiden anderen integrierte.
Leider ist es durch die Entfremdung zwischen Ost und West nach der großen Kirchenspaltung des Jahres 1054 zur „Fehlleistung einer ganzen Kulturepoche Europas gekommen, als „jenes zählebige, oft wiederholte Kulturbewußtsein und Geschichtsbild etlicher Generationen, ja sogar das Selbstverständnis der römischen Kirche prägende Diktum" (Ernst Nittner) von den drei anderen Säulen entstand, von Antike, Christentum und Germanentum, die den Bau Europas tragen, bzw. von den drei Wurzeln, aus denen das Abendland gewachsen sei. Der Osten Europas kommt in beiden Bildern, dem der drei Hügel und dem der drei Säulen, zu kurz, sei es der slawische Osten, sei es die besondere Geistigkeit östlichen Christentums, das in Osteuropa zwar meist slawisch, aber geprägt vom Griechentum, von griechischer Theologie und Kultur.
Als Papst Paul VI. 1964 den hl. Benedikt zum „Patron Europas" und zum „Vater des Abendlandes' erhob, ging er davon aus, daß nach dem Ende des alten Weströmischen Reiches und nach dem Ende der Völkerwanderung die Geburt Europas anzusetzen ist. Karl der Große ist bereits von Zeitgenossen als „verehrungswürdige Zierde Europas", als Pater Europae bezeichnet worden.
Doch sein Reich, dieses junge Europa, war noch ein Kleineuropa, kleiner als die erste EWG, das Europa der sechs Gründungsmitglieder der heutigen Europäischen Gemeinschaft (EG), da damals unter Karl dem Großen ganz Süditalien noch unter byzantinischer Herrschaft war, allerdings die Gebiete der heutigen Schweiz und die Grenzmarken in Österreich und Nordspanien dazugehörten.
Dazu kam, daß in Konstantinopel der alte römische Reichsgedanke weiterlebte und dieses Faktum zum Dualismus Rom‑Byzanz führte. Der polnische Historiker Oskar Halecki kommt sogar zum Schluß, daß die Errichtung des Reiches Karls des Großen kein Schritt zur Integration eines größeren christlichen Europas war, sondern zunächst den damals bereits vorhandenen Ost‑West-Dualismus noch erneuerte und verstärkte.
Dazu kam daß die unstreitbar großartige Leistung Karls des Großen ohne Kontinuität war, ja nach dem Tode des Kaisers Niedergang und Zerfall folgten, ehe Otto I. mit seiner Kaiserkrönung im Jahre 962 an Karl den Großen anknüpfte. Dabei konnte er allerdings das Reich Karls nicht erneuern, sondern nur im Ostfrankenreich, dem späteren Deutschland, das Ende des karolingischen Staates machtpolitisch weiterführen.
Doch gerade in diese Zeit des Zerfalls des Reiches Karls des Großen im 9. Jahrhundert fällt die Mission der Slawenapostel Cyrill und Method. Ihr Hauptwirkungsgebiet ist Mähren und Pannonien, die alten Hauptdurchzugsgebiete der Völkerwanderung. Mit seinem Wahlspruch „ora et labora" (bete und arbeite), mit der Gründung von Klöstern und der Pflicht zur Seßhaftigkeit der Mönche hatte St. Benedikt die Unruhe der Völkerwanderung gebändigt und überwunden. Seit dem Jahr 863 missionierten Cyrill und Method, die Mitpatrone Europas, in Gebieten, die nicht zum Römischen Reich und nicht zum Reich Karls des Großen gehört hatten. Die eigentliche Integration Europas ist nicht nur vom Reichsgedanken her erfolgt, nicht von der Zugehörigkeit zum Imperium (sei es byzantinisch, sei es fränkisch‑römisch), sondern durch Mission und Christianisierung in der Volkssprache, durch welche griechisch‑römische Kultur zunächst in das Großmährische Reich, dann in andere slawische Staatswesen, aber auch bald in das nichtslawische Reich der Ungarn eindrang.
Mit dem Christentum wurde das Erbe der Antike von jungen Völkern übernommen, die sich außerhalb des Imperiums entwickelten, so wie ein Jahrhundert zuvor unter Bonifatius das gleiche in unserer Heimat geschah und später im Norden durch Missionare wie Ansgar erfolgte: Durch die Christianisierung, durch die Übernahme des kulturellen Reichtums der römischen und griechischen Antike entstand in einem langen Entwicklungszeitraum Europa. In seinem geistvollen Essay „Cyrill und Method ‑Schutzheilige Europas" schreibt Ernst Nittner über die Zeit des 10. Jahrhunderts, als nach der Vertreibung der Schüler des heiligen Methods nach dessen Tode diese eine neue Wirkungsstätte in Bulgarien fanden und nach dem Ende des Großmährischen Reiches auf Teilen seines Bodens ein christlicher ungarischer Staat entstand:
„Die Geburt Europas war abgeschlossen, West und Ost waren integriert in die europäische Gemeinschaft des Denkens und Glaubens. Griechische Philosophie und die römischen Kriterien von Recht und Ordnung waren überhöht durch die christliche Heilsbotschaft, durch das neue Bild von Gott und Mensch. Im Westen ‑ aber keineswegs nur für den Westen ‑ hatte St. Benedikt den kultursoziologischen Imperativ des „Ora et labora!" mit der Absage an ausschließliche Kontemplation ebenso wie an leistungsbesessenes Robotertum eingebracht. Cyrill und Method hatten bei den slawischen Völkern ‑ aber keineswegs nur für sie ‑ die Freisetzung volkhafter Kräfte für das Wirken der Kirche, den Gedanken des Glaubens und Verkündens aus der ethnischen Voraussetzung des Betens und Eucharistiefeierns in der Muttersprache hinzugefügt. Man sagt, daß hier eigentlich antizipiert wurde, was tausend Jahre später durch das Zweite Vatikanum verwirklicht wurde:
Wir können also von einer Geburtsstunde Europas sprechen, müssen uns dabei aber immer wieder vor Augen halten, daß auch damals Europa nie „wirklich eine Einheit war, weder regional noch unter den Bedingungen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" (David Seeber). Es lebte immer in Spannungen und Gegensätzen, in Konflikten und Auseinandersetzungen. Selbst wenn es (nach den Worten des Papstes) durch das Christentum mit beiden Lungenhälften atmete, war dies doch zeit‑ und perspektivenverschoben. „Europa ist eben ein anders beschaffener Kontinent, als wir ihn in den üblichen Europa‑Sonntagsreden präsentiert bekommen", schrieb David Seeber in einem Leitartikel der Herder‑Korrespondenz im September 1991, als dieses Europa sich lange als nicht handelndes Subjekt im Jugoslawienkrieg erwies, als zu schwach, um gesamteuropäisches Ordnungselement oder „auch nur als friedensstiftender Moderator auftreten zu können". Zwar hat Europa immer existiert, aber nur in seiner Vielfalt, wobei die Vielfalt politisch, kulturell, geistig und regional war. Seine Geschichte nach der Geburtsstunde ist gekennzeichnet von Machtansprüchen und Gewalt, von Kämpfen mit Siegen und Niederlagen, die bereits im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht erst 1870/71 oder in den beiden Weltkriegen dieses Jahrhunderts Feindschaft zwischen den Völkern als den Trägern Europas schufen.
Wie die Trennung von Ost‑ und Westkirche im Jahre 1054 haben weitere Kirchenspaltungen wie die der Reformation zu erneuter Trennung geführt. Auch wenn sie nicht die europäischen Dimensionen hatten wie nach 1517 durch Luther, so haben auch andere religiöse Konflikte (denken wir an die Hussitenkriege) zu Feindschaft und Auseinanderleben geführt. Ein trauriger Höhepunkt dieses Gegeneinanders war sicher der Dreißigjährige Krieg, als Mitteleuropa Aufmarschplatz von Armeen aus weiten Teilen Europas, von Spanien bis Schweden, war.
Dennoch blieb diesem Europa ein gemeinsamer Urgrund: das Christentum. Nicht zufällig haben große Geister vor 200 Jahren in einer der unseren vergleichbaren Zeit nach den Wirren und Fehlentwicklungen der Französischen Revolution ihre Blicke von Aufklärung, Rationalismus und Materialismus abgewandt und versucht, sich an Grundwerten des mittelalterlichen Europas zu orientieren. Der Dichter Novalis, der eigentlich Friedrich Karl von Hardenberg hieß und als Leiter der Bergwerke in Sachsen von Haus aus ein Naturwissenschaftler war, hat damals eine Schrift verfaßt: „Die Christenheit oder Europa". Er meinte damit keinen Gegensatz, sondern völlige Identität. Für Novalis ist Europa nach seiner Herkunft christlich; es wird christlich sein oder gar nicht mehr existieren. Nicht umsonst nennen wir Novalis einen Vertreter der Romantik, aber dennoch müssen wir uns heute auf die christlichen Grundwerte zurückbesinnen, auf denen Europa aufbaut. Das Christentum hat jenen gewaltigen Integrationsprozeß vollbracht, der Europa seine christlichhumanistische Prägung gab. Der Integrationsprozeß zeigt sich in Begriffen wie Menschenwürde, Unantastbarkeit der Person, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Gemeinschaft und personelle Verantwortung, auf die aber kein christlicher Monopolanspruch besteht und die auch von Nichtchristen geachtet und gelebt werden. Diese Werte stammen aus dem Schatz der Antike, aus vorchristlicher Zeit, als ethische Forderungen eines Sokrates, Platon oder Aristoteles an die Menschen. Diese Werte haben Cyrill und Method von Byzanz aus den Slawen vermittelt und diesen Werten hat das Christentum die „transzendente Hinwendung auf den Erlösergott, den Schöpfer allen Lebens" hinzugefügt, was wir an Grundwerten menschlicher Existenz wie Freiheit ‑ Menschlichkeit ‑ Gerechtigkeit besonders spüren. Sie gehören seit der griechischen Philosophie zum Wesen Europas, wurden aber durch das Christentum besonders ausgeformt und zählen gerade heute zu den wesentlichen Grundlagen eines neuen Europas.
Es sind dies die Grundlagen, die Jahrzehnte hindurch durch die bolschewistische Herrschaft im Osten verschüttet waren, und die es nach der Wende neu zu beleben galt. Es sind die positiven Grundlagen der Antike, die auch Cyrill und Method den Slawen weitergaben und sie dadurch in Europa integrierten.
Aber wie steht es damit heute?
Ein Jahr nach dem Besuch des Papstes in Velehrad brach Krieg aus in Europa. Hunderttausende Menschen aus den Völkern der Slawen wurden in Kroatien und Bosnien getötet, Millionen vertrieben. Europa schwieg dazu nicht nur, sondern hatte Politiker, die lange genug Helfershelfer der serbischen Aggressoren und Kriegsverbrecher waren.
Die Jugend Europas war nach dem Zweiten Weltkrieg voller Hoffnung auf die Einigung unseres Kontinentes. Damals verdienten Politiker vom Geiste eines Adenauer, Schumann oder de Gasperi die Bezeichnung Erbauer und Architekten Europas, während wir im Bosnienkrieg auf dem Balkan manche Politiker als Totengräber erlebten. Als 1995 der Vertrag von Dayton geschlossen wurde, sparte man leider das Kosovo aus. Der nächste Krieg auf dem Kosovo war vorprogrammiert.
Der Grund wurde bereits genannt:
Vielem Bemühen um die Einigung Europas fehlte die geistlich‑geistige Grundlage, die uns vor Augen zu stellen Johannes Paul II. nicht müde wird. Statt dessen glauben aber viele Brüsseler Eurokraten ohne jedes geistige Konzept nur an die Machbarkeit der Wirtschaft.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus siegte der westliche Konsumismus. Europäische Quoten oder der Standort der Eurobank waren manchen Politikern wichtiger als das Ende eines Völkermordes in Bosnien. Um Nato‑Soldaten zu schonen, überließ man Hunderttausende Albaner der ethnischen Säuberung und Tausende den Massengräbern. Dabei hatte man vergessen, daß die Vertreibungen, die 1945 stattfanden und 1991 fröhliche Urständ erlebten, 1922 ‑ und das war vor genau 80 Jahren ‑bereits praktiziert wurden und durch den Vertrag von Lausanne noch abgesegnet wurden.
Müssen wir uns dann noch wundern, daß Cyrill und Method und ihre Tradition vergessen oder unbekannt sind?
Es gilt, sie neu zu entdecken und unseren Gläubigen nahe zu bringen.
Wann haben wir die Europapatrone um ihre Fürsprache angerufen?
Wo gab es Wallfahrten zu ihren Ehren?
Wo trafen sich Christen aus Europa, um ihre Geistigkeit zu studieren und für Europa zu nutzen? Warum pilgern wir nicht als Europawallfahrt ins 2. Rom nach Konstantinopel?
Oder nach Velehrad in Mähren?